Grammatikalisierung
Grammatikalisierung (fem, unz.), von engl. grammatikalization, Lehnwort aus dem Griech. zu grammatike, grammatikos "die Buchstaben betreffend", von A. Millet (1921) geprägt.
(1) Grammatikalisierung bezeichnet einen Prozess, in dessen Verlauf eine selbstständige lexikalische Einheit allmählich die Funktion einer abhängigen grammatischen Kategorie annimmt. Die Einheit wird grammatisch oder auch "grammatischer", was bedeutet, dass sie stärker in das System der Sprache eingebunden und von bestimmten Regeln betroffen sein wird, worin sich ihre Abhängigkeit vom Sprachsystem zeigt.
Beispiele
- Die Entwicklung von lex. haben zum Hilfsverb
- Die ursprüngliche Bedeutung von haben war nur lexikalisch, wie im Satz
Sie hat einen Garten
.
Die grammatische Bedeutung von haben als Hilfsverb im heutigen Deutsch geht auf solche Konstruktionen zurück wie:phigboum habeta sun giflanzotan in sinemo wingarten
(Tatian) =einen Feigenbaum hatte einer als gepflanzten in seinem Weingarten
wo habeta ein Vollverb und giflanzotan ein adjektivisch verwendetes Partizip II war.
Das lexikalische haben hat sich in diesen Konstruktionen zum Hilfsverb im Plusquamperfekt entwickelt:einen Feigenbaum hatte einer in seinem Weingarten gepflanzt
- Die ursprüngliche Bedeutung von haben war nur lexikalisch, wie im Satz
- Die Entstehung der Konjunktion dass
- Die Konjunktion dass entwickelte sich aus dem Demonstrativpronomen thaz (Nom.Akk.) in solchen Konstruktionen wie:
glauben kannst du das (=thaz): ich werde es nie vergessen
.
Das demonstrative thaz trat an das Satzende, um mittelbar auf den folgenden Satzinhalt hinzuweisen. Durch Verschiebung der Satzgrenze und der Zäsur vor thaz konnten Demonstrativpronomen jederzeit in die Konjunktion umgewandelt werden. Darauf folgte auch die Verschiebung des finiten Verbs in die Endposition.
- Die Konjunktion dass entwickelte sich aus dem Demonstrativpronomen thaz (Nom.Akk.) in solchen Konstruktionen wie:
(2) Diachroner wie synchroner sprachlicher Prozess, in dem sich frei verwendbare Lexeme und Syntagmen zu spezifischen morphosyntaktischen Strukturen verfestigen und zu grammatischen Paradigmen ordnen.
Herstellung einer stabilen Verbindung zwischen einer oder mehreren Bedeutungen und einer oder mehreren morphologischen oder syntaktischen Einheiten. Die Verbindung des betreffenden semantischen Merkmals mit einer strukturellen Einheit produziert ein grammatikalisches Paradigma, das betreffende Element gelangt aus der lexikalischen in die grammatische Ebene.
Beispiele
- Lexem
- Swahili –taka „wollen“ → -ta(ka) Futur
- Syntagma
- Die Verlaufsform des Deutschen. Die Bedeutungen Gleichzeitigkeit und Durativ mit dem morphologischen Komplex {am + Inf. + sein} verbindet. →
Sie war am Schreiben und er war am Kochen, als wir kamen.
- Die Verlaufsform des Deutschen. Die Bedeutungen Gleichzeitigkeit und Durativ mit dem morphologischen Komplex {am + Inf. + sein} verbindet. →
(3) Entwicklungsprozess vieler alphabetischer Schriften von morphologisch flachen zu phonologisch tiefen Repräsentationskonventionen, d.h. Zunahme der unmittelbaren Repräsentation morphologischer und lexikalischer Einheiten im Schriftsystem. Stärker grammatikalisiert sind i.d.R. alphabetische Schriftsysteme, die längere Zeit keiner Orthographiereform unterzogen werden.
Literatur
zu (1)
- Diewald, G.M.: Die Grammatikalisierung: eine Einführung in Sein und Werden grammatischer Formen, Grammatische Arbitshefte 36, Tübingen 1987
- Hopper, P. J. und Traugott, E. Closs: Grammaticalization, Cambridge 1993
zu (2) und (3)
- Helmut, Glück: Metzler Lexikon Sprache, Stuttgart
Autoren
zu (1)
- Monika Jedynak-Tekouk
zu (2) und (3)
- Chrisula Papadopoulou